Nimona wäre fast nicht entstanden – zum Glück hat die Comicverfilmung aber allen Widrigkeiten getrotzt und läuft jetzt bei Netflix. Eine Rezension von Peter Osteried, veröffentlicht am 30. Juni 2023, 14:00 Uhr
Acht Jahre – so lange hat es gedauert, bis Nimona nun endlich bei Netflix sein Debüt feiern konnte. Dabei sah es einmal sogar so aus, als würde der Film einfach fallengelassen, obwohl er schon zu großen Teilen fertig war.
Der Film basiert auf dem Comic von ND Stevenson, der zwischenzeitlich Showrunner der Netflix-Serie She-Ra und die Rebellen-Prinzessinnen war. Er entwickelte den Comic als Abschlussarbeit seines Studiums am Maryland Institute College of Art. Zugleich veröffentlichte er die Geschichte als Webcomic und fand dabei ein so großes Publikum, dass der Verlag Harper Collins sich meldete, da man die Story auch in Printform publizieren wollte.
Der Comic arbeitet mit Versatzstücken von Science-Fiction und Fantasy, macht aber etwas ganz Eigenes daraus. Beim Weg vom Comic zum Film waren ein paar Änderungen vonnöten, im Großen und Ganzen entspricht Nimona aber der Printversion, die hierzulande bereits 2016 erschienen ist.
Märchenhafte Zukunft
Die Geschichte spielt in einer futuristischen Welt mit allerhand mittelalterlichen Elementen. Die Technik ist pure Sci-Fi, aber es gibt eine Königin, Ritter und Knappen und natürlich Monster. Ein solcher Ritter ist Ballister Blackheart, dem vorgeworfen wird, die Königin ermordet zu haben.
Das ruft die Gestaltwandlerin Nimona auf den Plan, denn sie möchte der Sidekick eines waschechten Schurken werden. Doch Ballister ist nicht der Schurke, den sie erwartet hat. Eigentlich ist er gar keiner. Ein Unterschied zwischen Film und Comic: In beiden wird ihm der Arm abgeschlagen, aber die Gründe sind sehr unterschiedlich – und folglich auch die Erklärung, warum er ein Schurke wird.
Bald zeigt sich: Die Grenzen von Gut und Böse verschwimmen immer mehr. Denn Helden treten auf unterschiedlichste Art in Erscheinung.
Als es mit Nimona aus und vorbei war
20th Century Fox erwarb im Jahr 2015 die Filmrechte. Die Tochterfirma Blue Sky Studios sollte einen Animationsfilm daraus machen. Die Arbeiten begannen zügig, aber nach dem Verkauf von Fox an Disney wurde der Starttermin immer weiter nach hinten geschoben, bis Disney – im Februar 2021 – Blue Sky Studios liquidierte. Als Grund wurden wirtschaftliche Gründe genannt, die sich aus der Pandemie ergeben hätten.
Zu dem Zeitpunkt war der Film bereits zu 75 Prozent fertiggestellt. Ein Jahr, nachdem Blue Sky Studios abgewickelt worden war, übernahmen Annapurna Pictures und Netflix das Projekt. Regisseur Patrick Osbourne hatte da schon andere Verpflichtungen, weswegen Nick Bruno und Troy Quane den Film fertigstellten.
Ein vielschichtiger Film
Nimona ist ein eindrucksvoller Fantasyfilm, der bekannte Elemente aufgreift, sie aber unkonventionell zusammensetzt. Der Film ist ein flott erzähltes Abenteuer, vor allem aber hat er auch etwas zu sagen – und das nicht nur, weil Ballister seinen männlichen Widersacher liebt und Nimona genderfluid ist, sondern auch, weil er etwas darüber aussagt, was es heißt, anders zu sein.
In einer der schönsten Szenen regt Ballister an, dass Nimona sich nicht mehr verwandeln solle. Dann würde man sie auch nicht als Monster sehen. Worauf sie entgegnet, dass sie dann aber nicht sie wäre. Nur wenn sie sein kann, wie sie ist, fühlt sie sich wirklich lebendig. Das ist natürlich wenig verklausuliert, aber dennoch eine starke Botschaft: dass Menschen in allen Formen daherkommen und jede davon großartig ist.
In der Welt von Nimona jedoch hat man Angst vor den Monstern. Vor denen, die anders sind und denen man nur misstraut, weil sie sind, wie sie sind. Der Film nutzt ebenso wie der Comic die Existenz von Nimona als “Monster” und als “Abscheulichkeit”, die wegen ihrer Fähigkeit zu Gestaltwandlung verdammt wird, als Metapher für die strukturelle Diskriminierung der LGBTQIA±Community.
Das geht auch auf den Comic zurück. Über den sagte ND Stevenson: “Ich wollte alle Stereotypen aufbrechen, die sagen, dass eine Frau auf diese oder jene Art sein muss, dass dies ihre Schwächen sind und dass sie niemals so gut wie ein Mann sein wird. Ich wollte auch hinterfragen, wieso bei einer männlichen Figur negative Charakterzüge bejubelt, bei einer weiblichen Figur jedoch verdammt werden, und wie sich dieses Narrativ auf echte Frauen auswirkt, die täglich ihr ganz normales Leben führen.” Starkes Duo
Der Film funktioniert auf vielen Ebenen fantastisch, ist actionreich und abenteuerlastig, amüsant und witzig, vor allem aber auch ernsthaft und emotional – und im Zentrum stehen immer Ballister und Nimona, die in eine Art Ersatzvater-Tochter-Beziehung schlittern, was mit starken Dialogen einhergeht. Im Original werden sie übrigens gesprochen von Chloe Grace Moretz und Riz Ahmed.
Nimona ist am Computer animiert, aber in einem Stil, der an klassischen, von Hand erstellten Zeichentrick erinnert – er vereint somit das Beste beider Welten und ist nicht nur narrativ, sondern auch formal ein Triumph. Der beste Animationsfilm des Jahres. Und Disney wollte ihn nicht. Was sagt das über den Maus-Konzern aus?