Mir als Kind der 90er wurde noch von allen möglichen Leuten erzählt “Mach ja nix mit Handwerk, da knüppelst du dich nur für kleines Geld zu Tode!”.
Und plötzlich gibt es keine Handwerker mehr… Zufälle gibt’s…
Was spricht gegen Handwerk? Als gelernter Heizungsbauer will ich das beantworten.
-Arbeitszeiten ändern sich gerne mal spontan sodass man kaum Termine nach Feierabend planen kann -die Bezahlung war zu meiner Zeit (2006-2014) unter aller Sau (300-360€ als Azubi, 9€/h als Geselle) -man ist oft dem Wetter ausgesetzt. Ob Dacharbeiten bei 30°C bis sich die Haut vom Rücken schält oder bei -10°C im Rohbau bis einem die Zehen fast abfrieren -Du wirst von Idiotischen Kollegen behandelt wie Dreck. Ich wurde dumm genannt, verarscht, es wurden Vorwürfe gemacht wenn man krank zuhause blieb außer es war eine Sichtbare, schwere Verletzung. -“Psychische Erkrankungen existieren nicht. Das sind Ausreden von Leuten die keinen Bock auf arbeit haben.” Leider wusste ich es in dem Alter nicht besser und habe deswegen Jahrelang mit Depressionen gearbeitet. Gab ja auch Tage an denen ich nicht vom Dach springen wollte. Das schaff ich alleine. Wenn jemand hört ich geh mit sowas zum Arzt bin ich doch auch noch der Geisteskranke. Geendet oder eher pausiert haben die erst als mir gekündigt wurde und ich Monatelang arbeitslos war. Tja, am Land und ohne Führerschein blieb nicht viel anderes übrig als wieder dort zu arbeiten als sie wieder jemanden brauchten. Jetzt mit “ruhender” Depression, dafür mit einem Kollegen der seit einem Herzinfarkt noch cholerischer ist als früher. Also hatte ich jetzt immer wieder Herzrasen und das Gefühl zu ersticken wenn er mich wieder mal grundlos anschrie. Hatte lang gedauert bis ich wusste dass das Panikattacken sind. -Narzistische Kollegen. Wir sind die tollsten und klügsten, alle anderen sind dumm und faul. Besonders diese “Blödstudierten” Architekten. Die können ja nicht mal einen Nagel in die Wand schlagen. Als ob dass das Benchmark für Intelligenz wäre. Für meine Kollegen war es das wohl. Und von den Sprüchen über Ausländer und Juden will ich garnicht anfangen.
Es gibt bestimmt noch mehr Dinge die mir gerade nicht einfallen, aber ich denke mal es spricht genügend gegen Handwerk. Alos sorgt dafür das eure Kinder IRGENDWAS anderes lernen das nicht Bankkonto und psyche fickt.
…aber WARUM? Warum sind die Verhältnisse im Handwerk so? Kann eine Firma, die das besser macht, nicht überleben? Führt der Weg zum Markterfolg nur über Ausbeutung?
Warum sind die Verhältnisse im Handwerk so?
Ein Fakor ist die Art und Weise, wie Aufträge im Handwerk zustande kommen. Diese richtet sich i.d.R. nach der VOB (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen).
Das funktioniert (stark vereinfacht) so: Der Handwerker erhält neben Bauplänen ein vom Architekten erstelltes Leistungsverzeichnis (LV). Dies ist sozusagen eine Auflistung der Dinge, die der Handwerker ausführen soll. Hier sind die Mengen (z.B. wie viele Quadratmeter Wand, wie viele Fenster, wie viele laufende Meter Abflussrohr,…) schon vom Architekten kalkuliert worden.
Der Handwerker setzt nun seine Preise bei den einzelnen Positionen ein. Da i.d.R. auch die Konkurrenz des jeweiligen Handwerkers gefragt wird, entsteht somit eine Vergleichbarkeit zwischen den Angeboten, und oftmals erhält der günstigste Anbieter auch den Zuschlag.
Aus der Perspektive des Handwerkers macht er also Pauschal-Preise, die sich auf einen bestimmten Leistungsumfang beziehen. Wenn man aber etwas als Pauschale angibt, dann ist es aus ökonomischer Sicht am günstigsten, wenn der Arbeitsaufwand und die damit verbrachte Arbeitszeit so gering wie möglich gehalten wird. Also: möglichst wenig Aufwand/Zeit fürs gleiche Geld.
Wenn nun aber Arbeiten nicht im Sinne des Bauherrn oder der Planung ausgeführt werden, sodass diese vom Handwerker im Nachgang behoben werden müssen, dann investiert der Handwerker mehr Zeit, als ursprünglich einkalkuliert war. Bezogen auf den angebotenen Pauschalpreis kann das bedeuten, dass der Handwerker nun keinen Gewinn, oder gar Verlust macht.
Ursachen können sein: unzureichende Planung, unvorhergesehene Schwierigkeiten (besonders bei der Sanierung von Altbauten) Bauherr entscheidet sich spontan um, Falsches Produkt eingebaut, LV nicht richtig gelesen, Leistungsumfang falsch interpretiert, aus falschem Stolz nicht nachgefragt, keine fähigen Leute,…
Soetwas führt dann dazu, dass mehr Arbeitsaufwand und mehr Arbeitszeit investiert werden müssen. Gleichzeitig aber soll bzw. muss der Fertigstellungstermin eingehalten werden. Dieser Zeitdruck wird dann an die Mitarbeiter vor Ort weitergegeben, die dann länger machen müssen, oder gar Samstags arbeiten müssen.
Hinzu kommt, dass die Handwerksbetriebe tendenziell mehr Aufträge annehmen als sie eigentlich abarbeiten können (Überbuchung). Das heißt, der Druck entsteht nicht nur bei der einen Baustelle, sondern bei allen.
Ergänzend möchte ich noch anmerken, dass völlig unrealistische Bauzeitenpläne (also eine Übersicht über die einzelnen “Meilensteine”, also bis wann eine bestimmte Arbeit fertiggestellt sein soll, in einem zeitlichen Kontext), oder auch der Umbau von Gebäuden im laufenden Betrieb (in dem Ort, in dem ich arbeite, wurde der Supermarkt umgebaut - während der Verkauf weiterging) ebenfalls dazu beitragen, dass ein enormer zeitlicher Druck auf das Handwerk ausgeübt wird.
Dies ist eine Folge des Kapitalismus. Alles muss so schnell wie möglich fertiggestellt werden, Gewinnausfälle (des Bauherrn) sind nicht geduldet. Ich habe schon Mehrfamilienhäuser geplant, wo die Wohnungen, die bislang nur als Planung existieren, bereits vermietet sind! Sowas ist komplett abgefuckt.
Ich war in den letzten Jahren auch immer überrascht, wie günstig Handwerksdienstleistungen waren. Du kannst dir für ein paar wenige Hundert Euro die ganze Bude weiß streichen lassen oder letztens hat irgendwas mit den Abfluss nicht gestimmt und das hat nur 80€ gekostet dass ich wieder gescheit duschen und meine Wäsche waschen kann. Alter nehmt einen Fuffi mehr und bezahlt eure Leute besser. Es ist doch aktuell eine Premium Zeit für das Handwerk, die Terminkalender sind prall gefüllt, dir rennen die Kunden nicht weg wenn man etwas die Preise anzieht. Zumal das beim Handwerk auch nicht immer so eine transparente Angelegenheit ist. Aber das ist nur meine privilegierte sich als Sesselfurzer mit einer vernünftigen Bezahlung, gibt’s hier vielleicht Meister mit einem eigenen Betrieb? Würde die marktwirtschaftliche Seite Mal voll interessieren :)
Und du glaubst, dass die Besitzer von Handwerksunternehmen eine Preiserhöhung nach unten durchreichen?
Nur, um das Geheule wirklich mal einzuordnen: Als Alleinstehender beträgt die Höhe des Bürgergeldes aktuell 502€. Wenn man verpartnert ist und beide Bürgergeld beziehen, dann reduziert sich das auf 451€ pro Nase. Verdient ein Partner, reduziert sich der Bürgergeldanspruch auf null, selbst wenn es im Mindestlohnbereich liegt. Klar, die Miete wird dann vom Amt übernommen, aber: 502€ sind verdammt wenig Geld, wenn man sich davon dann komplett ernähren, einkleiden, unterhalten, versichern etc. will. Klingt erstmal nach “viel” Geld, aber wenn das wirklich über Jahre dein einziges Einkommen ist und das an den Verschleiß bestehender Dinge geht, dann wird es bitter. Dann ist das neue Handy oder ein neuer PC schnell mal ein Monatseinkommen. Autos kann man da komplett vergessen und selbst so Verschleißteile am Fahrrad reißen plötzlich riesige Lücken ins Budget.
https://www.buerger-geld.org/regelsatz/buergergeld-tabelle-2023/ https://www.buerger-geld.org/rechner/
Manchen wir mal den Vergleich zum Mindestlohn (den eigentlich halt keiner im Handwerk bezahlen sollte, weil wir hier ja größtenteils von spezialisierten Fachkräften reden): Der liegt aktuell bei 40h bei brutto 2080€ und netto 1.643,20€. Sprich 1142€ über dem Bürgergeld. Und dann ist im Endeffekt die Miete der entscheidende Faktor: Die Höhe der übernommenen Mietkosten unterscheidet sich von Stadt zu Stadt - hier kann man sich dann Szenarien basteln, wo man als in München wohnender Bürgergeldempfänger nahe an einen Mindestlöhner rankommt, aber am Ende ist es halt auch Quatsch. Und verlagert halt das Problem der völlig fehlgeplanten Wohnraumsituation dann auf die Schultern der Schwächsten.
(Und mit der grassierenden Inflation, Mieten etc. sollte man sich jetzt gar nicht so lange mit der Höhe des Bürgergelds aufhalten: Ob das jetzt bei 500€ oder 450€ liegt oder wie auch immer, ist dann im großen und ganzen egal, da wird jede Erhöhung genau wie beim Mindestlohn gerade gnadenlos von den steigenden Kosten aufgefressen. Und der Staat ist halt von der Verfassung her dazu verpflichtet, dass Leute vernünftig versorgt werden und daher gehen da großflächige Kürzungen nicht. Eher großflächige Mindestlohnerhöhungen, um den Abstand wieder zu erhöhen, aber dann weint das Handwerk auch wieder)
Nur so am Rande erwähnt: es gibt die Möglichkeit ein zinsfreies Darlehen vom Staat zu bekommen, wenn z.B. der Geschirrspüler kaputt ist und man einen neuen braucht (oder sowas in die Richtung). Sowas sagt einem halt keiner, außerdem ändert das natürlich nichts daran, dass das BG an sich zu niedrig ist.
Nur bringt einem ein Darlehen halt auch nichts, wenn man nicht irgendwann die Kohle sammeln kann, um es zurück zu zahlen.